Ich lese nach einem Tipp von Philip Manow, nachdem ich ihn gefragt hatte wo er Patrick Deneen einordnen würde, bei einem Vortrag bei der Stiftung Demokratie Saarland in Saarbrücken gerade „Liberalism Against Itself“ von Samuel Moyn. Der sieht ja, zumindest ist das mein aktueller Eindruck, vor allem die Abkehr des Liberalismus von einigen Idealen der Aufklärung, Emanzipation und Gleichheit, im Kalten Krieg als Grund für seinen Niedergang hin zum Neokonservatismus oder seine staatlich-umverteilungsfeindliche Verzerrung hin zum Neoliberalismus. Also ich habe erst etwas mehr als ein Drittel gelesen. Er stellt in seinem Buch vor allem die aus seiner Sicht Hauptvertreter des KalterKrieg-Liberalismus vor. Das finde ich schonmal spannend, denn über Shklar, Berlin, (Popper), Himmelfarb, (Arendt) und Trilling hatte ich noch nicht so viel bis gar nichts bisher gelesen [Über die in Klammern schon einiges mehr, aber weniger in diesem Kontext]. Diese hätten unter anderem die beiden bereits genannten Ideale der Aufklärung, Emanzipation und Gleichheit, für die Entstehung von totalitären Systemen und den Nationalsozialismus verantwortlich gemacht. Gleichzeitig hätten sie sich aber auch über die politischen Romantik ereifert und diese als direkten Vorfahren des totalitären Sozialismus und Nationalsozialismus gebrandmarkt. Und einige der KalterKrieg-Liberalen hätten Jean-Jacques Rousseau als den Hauptvertreter der politischen Romantik und dessen Hauptmissetäter dargestellt. Dies belegt er auch schön mit Zitaten.
Also alleine dafür hat sich der Kauf und vor allem das (bisherige) Lesen des Buches schon gelohnt. Über die politische Romantik hatte ich bisher bewusst noch gar nichts gelesen. Die Romantik kenne ich nur als gesellschaftliche Abwehr-Reaktion auf die Moderne im 18. und 19. Jahrhundert. Auf ihre unsozialen Auswüchse aber auch auf ihr Fortschrittstempo an sich. Als Kritik an der Entfremdung von der Natur. Wie man aber zum Beispiel hier nachlesen kann, gab es tatsächlich auch eine politische Seite der Romantik. Die ging zum Beispiel davon aus, dass ein Staat mehr als Gemeinschaft angesehen werden müsste und sich nur aus der Tradition heraus und nicht durch Sozialverträge bilden könnte. Auch wären staatlich erschaffene Institutionen deshalb eher schädlich, da alles aus der Gemeinschaft und den Familien heraus erwachsen sollte. Oder den Ständen. Darauf hätte sich dann laut dem Beispiel, nach meinem Gedächtnis, tatsächlich Carl Schmitt berufen. Aber dafür können die ursprünglichen Vertreter der politischen Romantik ja nichts.
Aber zurück zu den KalterKrieg-Liberalen. Die vielen ja, laut den Textausschnitten in Moyn’s Buch vor allem über Rousseau her. Das war mir bisher auch noch nicht bekannt. Vor allem ist es merkwürdig den als Romantiker hinstellen zu wollen. Der gehörte ja zu den Haupt-Befürwortern von gesellschaftlichen Sozialverträgen. Zumindest ist er mir dafür bekannt. Und dafür für „bürgerliche“ Emanzipation und Gleichheit eingetreten zu sein. Aber wenn man bei Wikipedia genauer über ihn liest, weißt er mit Naturverbundenheit, positive Betonung des Gemeinwillens und Kapitalismus- (Industrialisierungs-)Kritik tatsächlich Züge der späteren Romantik auf. Aber eben nur teilweise. Wobei er aber offiziell wegen seiner Kritik an das Glauben an religiöse Offenbarungen so häufig umziehen musste. Aber sein eintreten für Gleichheit dürfte da auch inoffiziell was dazu beigetragen haben, dass er öfters wieder das weite Suchen musste. Sogar mal zu Humes, der gehörte ja eher zum Locke-(Un-)Gleichheitslager. Aber man nimmt/nahm halt was man kriegen kann/konnte.
Dieses Eintreten für Gleichheit aber auch sein positives Betonen des Gemeinwillens, ist wohl auch der Grund wieso diese KalterKrieg-Liberalen über ihn herfielen und diffamierten. Die Nazizeit aber auch Stalin hatte eben das Berufen auf den (angeblichen) Willen der Gemeinschaft komplett ins verachtenswerte gezogen. Wobei ich gerade selbst nochmal, eigentlich zum ersten mal nachgelesen (okay bei Wikipedia) habe, was Rousseau den nun unter dem Gemeinwillen, verstanden hatte: Nicht den Willen aller, sondern einen allgemeinen Willen, aus dem die Egoismen rausfiltert. Kein Wunder, dass ihn die Egomanen nicht mochten und weiterhin nicht mögen. 🙂 Rousseaus in Wikipedia und wohl auch in seinem Buch darüber (muss ich auch mal noch lesen) beschriebene Ideen wie man zu solch einem für alle gerechten Gemeinschaftswillen kommen könnte sind dann auch wirklich recht „optimistisch-wage“ und wohl auch deshalb von ihm selbst nur als für kleine homogene Gemeinschaften geeignet beschrieben worden. Da war dann John Rawls schon näher an einem praktischen Vorschlag für fair Gewillte. Aber zumindest wies Rousseau eben, vielleicht unbewusst, schonmal darauf hin, dass man sich eben eigentlich nur einem gemeinsamen Willen, auch einem demokratischen, unterwerfen sollte, solange man den von seinen Interessen und Werten her noch für tolerierbar hält. Sonst muss man halt in einer hinreichend homogenen Teil-Gesellschaft terrorfrei und stabil hinreichend handlungsfähig bleiben. Von dem Offensichtlichen befreit einem halt auch der Glaube an den Demokratismus nicht. Ein ImNotfallRaus-ismus ist wohl der einzige gute -Ismus, da er eben ein Notfall Hintertürchen, zum doch nicht so müssen, lässt. 🙂 Aber soweit sind wir vom herrschenden Willen wohl noch nicht ganz. Kommt aber bestimmt hoffentlich noch. Hinreichend. 🙂 Müssen halt hinreichend Viele mit hinreichend viel fair-genug samten mal machen und halten.
Aber zurück zu den KalterKrieg-Liberalen. Nach dem 2.Weltkrieg hatte ja noch Keynes persönlich festgestellt, dass die „New Dealer“ einer nach dem andern nach Roosevelt’s ableben „eliminated“ werden(wurden). Da haben eben die Anti-„AntiTrustler“, die Anti-„NewDealer“, wieder direkt an Boden gewonnen. Die sind sich zumindest in soweit wohl alle einig gewesen, dass der demokratische Staat die Finger vom Geld und Einkommen der Reichen und besser gelegenen lassen sollte.
Moyn’s Liberalismus besteht, würde ich aktuell sagen, aus den Idealen der Französischen Revolution Einigkeit, Brüderlichkeit, Freiheit. Und unter Brüderlichkeit versteht er mehr oder weniger Gleichheit. Wenn man Einigkeit aber nicht als „für alle“ interpretiert, sondern als Konsenspflicht, hat man bei Gleichheit schon das Problem, dass das zumindest nicht alle mögen. Und wenn man Brüderlichkeit nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner in Bezug auf Gleichheit reduzieren möchte (wie bei James M. Buchanan), wird man sich eben nicht einig. Dann ist man nicht homogen genug in den Ansichten. Und diejenigen egoistisch veranlagten mit viel Geld, stecken eben schon seit je her viel Geld in das Ziel das ihnen keiner was wegnehmen kann. Auch nicht der Staat. Hier wird’s dann aber eben auch für Saboteure für das außen oder eine innere Teilgruppe spannend. Denn wie Patrick J. Deneen schön beschreibt, endet eben entweder die individuelle Freiheit im Staat beim Gemeinwohlziel der Stabilität hinreichend oder die Individuen oder zumindest sehr viel mehr von ihrer Freiheit gehen zusammen mit dem Staat unter. Wenn sie nicht mit hinreichend Vielen mit hinreichend Viel handlungsfähig genug bleiben. Für „Für mich“ gilt eben das gleiche wie „Für alle“. Das muss man hinreichend können 24/7/365(66).
Und Deneen ist aktuell im Westen leider der einzige, außer mir, der aktuell öffentlich einen Plan für einen Gesellschaftsvertrag vorstellt, der dieses Ziel der Stabilität niemandem unterordnet. Keiner Mehrheit und keiner Minderheit. Er geht aber davon aus das er dafür die Rechte braucht. Oder er hat gleich eine Version nur für stabile Proprietäre seines Modells entworfen, da möchte ich mich nicht festlegen.
Ich hoffe mal das es auch ohne Rechte geht. Mit Rechts fair kann man auch als Linker agieren. Nur eben nicht rechts. Es kommt eben darauf an was man wie tut. Und nicht mit wem. Aber Rechte (ungleich viel Wollende) muss man als Linker (fair-viel/gleichviel Wollender) immer hinreichend begrenzen können wollen. Mir geht es aber nicht nur um das Ziel Stabil sondern auch um fair-genug für alle und um Gerechtigkeit.
Übrigens wird man wohl davon ausgehen können, dass der „NewDeal“ die Amerikaner vor einer Nazi oder Sozialistischen Revolution bewahrt hatte. Dafür fehle aber bei uns in Europa die gemeinsame Institution, die das legal gewaltfrei hätte umsetzen können. Und so eine fehlt auch zumindest ohne Konsenspflicht der EU-Staaten heute noch. Und auch in den USA muss man aufpassen, dass dieses Recht nicht verloren geht. Da ging und geht die Entwicklung in die falsche Richtung. Wie auch Moyn von Links und Deneen von Stabil korrekt erkannt haben. Zumindest interpretieren ich ihre Bücher mal so. Darüber sollte man mal hinreichend reden. Sonst ist Open-Source, „das Geringste“ um das man sich sorgen machen müsste in Bezug auf Hintertürchen (siehe z.B. hier: Harry Dexter White).


