Markt, Eigentum und Staat

Ein gemeinsamer Markt, national oder transnational, braucht einen Ausgleich, wirtschaftlicher oder
finanzieller Art, eine Priorisierung der Wirtschaftstätigkeit hin zur allgemeinen
Grundbedarfssicherung und hinreichende staatliche Regulierung für soziale, ökologische oder
sicherheitsrelevante Zwecke.
Ein Ausgleich ist wichtig, da die wirtschaftliche Konzentrationskraft des Marktes hin zu Standorten
mit optimalen Produktionsbedingungen einfach zu groß ist, um die unkorrigierte
Marktentscheidung einfach komplett akzeptieren oder tolerieren zu können.
Das ergibt sich ja schon aus der Hauptaufgabe des Marktes, durch einen fairen Wettbewerb der
Ideen, die optimale Kombination der Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital zu finden. Zur
Erfüllung der Kundenwünsche.
Und da vor allem die von Natur aus begünstigten Standorte, sei es nun in Bezug auf die
Produktionsbedingungen, eine logistisch vorteilhafte Lage oder einfach die Nähe zu den
bevorzugten oder vorteilhaften Wohnorten der Kunden, doch recht unterschiedlich innerhalb wohl
praktisch aller Märkte verteilt sind, wird auch der Markt, wenn er denn seine Hauptaufgabe erfüllt,
für eine entsprechend ungleiche Verteilung der Produktionsfaktoren, sprich der Wirtschaftskraft,
sorgen.
Also diese Ungleichverteilung ist gerade die Aufgabe des Marktes.
Deshalb ist es wichtig dem Markt bei seiner Suche nach der optimalen Kombination der
Produktionsfaktoren, zum einen unmittelbare Vorgaben zu machen, an die er sich dabei in Bezug
auf die primäre, wirtschaftliche Verteilung, welche schon im Moment des Auswahlentscheids des
Marktes greift, zu halten hat. Als auch, zum anderen, eine nachträgliche Umverteilung der
finanziellen Einnahmen der Marktteilnehmer vorzunehmen, um damit den Anteil jedes einzelnen
am „Gesamtertrag“ an Waren und Dienstleistungen demokratisch legitimiert Markt- korrigierend zu
bestimmen.
Denn das unkorrigierte Marktergebnis bestimmt auch wer in Zukunft, mit welcher Kaufkraft als
Kunde am Marktgeschehen teilnehmen kann und damit auch für wen, und welche, Waren und
Dienstleitungen zukünftig angeboten werden. Also für wen der Markt, quasi wie durch eine
unsichtbare Hand, um auch mal Adam Smith zu zitieren, die Produktionsfaktoren denn nun optimal
zu kombinieren bestrebt ist.
Ein anderer Grund dem Markt Vorgaben zu machen ist die Priorisierung der Wirtschaftstätigkeit.
Demokratisch legitimiert muss über den Staat festgelegt werden, welche wirtschaftlichen Güter
denn nun vorrangig produziert und/[oder, bei Dienstleistungen], vorrangig angeboten werden sollen,
um sicherzustellen, dass sie in ausreichendem Maße vorhanden sind. Hierfür bieten sich natürlich
vor allem alle Güter und Dienstleistungen an, welche für den Grundbedarf jedes einzelnen und/oder
der Gesellschaft als ganzes zwingend notwendig sind. Diese Liste lässt sich aber noch bis zu jedem
beliebigen Punkt mit, als priorisierungswürdig, erachteten Gütern oder Dienstleistungen erweitern.
Damit kann auch einer unnötigen Verknappung wichtiger Güter und Dienstleistungen entgegen
gewirkt werden, was sonst die Preise für diese in die Höhe getrieben hätte.
Der dritte Grund schließlich, der es nötig macht dem Markt Vorgaben zu machen ist der sehr
facettenreiche Punkt der Regulierung. Hier kann man zunächst nochmal z. B. nach sozialer,
ökologischer oder sicherheitsbezogener Regulation unterscheiden. Beispiele für soziale Regulation
sind Arbeitsumfeldgestaltung, Arbeitszeitbegrenzungen, usw. Beispiele für ökologische Regulation
sind Begrenzung des Ressourcenverbrauchs während der Produktion, Umweltverträglichkeit von
Endproduktion usw. Und Beispiele für sicherheitsbezogene Regulation sind Sicherheitsprüfungen
für Endprodukte, Arbeitsschutzvorschriften usw.. Generell kann man alle Gesetze wie
Antidiskriminierung, Gleichstellung usw. als Regulierungen des Marktes auffassen, solange sie
diesen zumindest mittelbar betreffen.
Nun stellt sich natürlich zum einen die Frage, was man als Bürger machen kann, wenn man in
seinem Staatsgebiet zwar einen gemeinsamen Markt aber eben keinen, den eigenen Werten
zumindest in ausreichendem Maße gerecht werdenden Ausgleich, keine ausreichende Priorisierung
und/oder keine ausreichende Regulation vorfindet.
Die Frage lässt sich recht einfach beantworten, in einer, (noch) nicht zu sehr beschränkten,
Demokratie, muss man danach streben, dass eine Regierung gewählt wird, zur Not muss man sich
eben selbst zur Wahl stellen, deren Regierungsarbeit den eigenen Mindeststandards zumindest
ausreichend nahe kommt. Wenn die dafür nötige Wählermehrheit nicht in Sicht ist oder die
Handlungsfreiheit des Staates nicht (mehr) ausreicht, da zuvor zu viele „Bremsen“ oder „Fesseln“
in die Verfassung oder supranationale Verträge eingebaut wurden, oder Parteien oder
Einzelpersonen mit den eigenen Ansichten nicht zur Wahl zugelassen werden oder man einfach gar
nicht in einer Demokratie lebt, bleibt einem außer hoffen und abwarten, eigentlich nur der
außerparlamentarische Protest bis hin zur offenen Revolution, rein hypothetisch gesprochen
natürlich. Oder besser das Streben nach einer Art Autonomiestatus oder gleich nach einer
Ausgründung eines neuen Staates, ebenfalls rein hypothetisch natürlich. Aber auch schon beim rein
hypothetischen durchspielen der Optionen, sollte man sich immer überlegen, ob es hinterher
wirklich besser ist, und ob einem der Preis den man selbst oder andere dafür zahlen müssten die
Sache wirklich Wert ist.
Soviel zum gemeinsamen nationalen Markt. Bleibt noch der oder besser die supranationalen
gemeinsamen Märkte. Auch hier sollte man sich, am besten schon bevor man neue Handelsverträge
oder neue supranationale Verfassungen unterschreibt, sich überlegen, ob man selbst oder eine,für
diesen Vertrag oder diese Verfassung neu begründete gemeinsame Institution denn nun ab einem
hinreichend frühem Zeitpunkt und zumindest ausreichend lange über die nötige demokratisch
legitimierte Handlungsfreiheit verfügt um für einen hinreichenden Ausgleich, hinreichende
Priorisierung und hinreichende Regulierung sorgen zu können. Falls davon nicht auszugehen ist,
sollte man sich sehr genau überlegen, ob man solch einen Vertrag denn wirklich „freiwillig“
unterschrieben möchte. Selbst wenn man meint davon zu profitieren und einem nicht soviel am
Wohl der anderen liegt, sollte man zumindest genau bedenken, wen man sich mit seiner Unterschrift
oder seiner Weigerung zur Erschaffung einer gemeinsamen Institution mit hinreichender
demokratisch legitimierter Handlungsfreiheit alles zukünftig zum Gegner oder Feind machen kann,
oder wer einem zukünftig zumindest keinen „Gefallen schulden“ würde.
Eine andere Frage ist, auch auf supranationalem Level, was man machen soll und (rechtlich) kann,
wenn denn die Mehrheitsentscheidungen zu häufig die eigenen Mindeststandards an Werten oder
die eigenen, zumindest als zwingend nötig, empfunden Interessen nicht hinreichend
berücksichtigen. Die Antworten auf diese Frage dürften im wesentlichen die gleichen sein, wie
diejenigen weiter oben für die Möglichkeiten von Bürgern im Staat geschilderten Optionen.
Bleibt zum Abschluss noch zu klären, wie man sich denn am besten auf gemeinsame Regeln in
Verfassungen und Verträgen und später auf ein bestimmtes Maß an Ausgleich, Priorisierung und
Regulierung einigen kann.
Laut Amartya Sen, „Development as Freedom“ kann man zwischen 3 Sichtweisen auf das optimale
Verhältnis zwischen Staat, Eigentum und Markt unterscheiden. Zum einen gibt es das Wirtschaftslibertäre
Prinzip, dass die möglichst freie Verfügungsgewalt über eigenes Eigentum am wichtigsten
wäre, weitgehend auch unabhängig vom Ergebnis. Das gleiche gilt hier übrigens auch für
Verfassungen und Vertragsregeln, auch wenn Herr Sen, das nicht explizit anspricht, die sollten, nach
dieser Ideologie, nach Möglichkeit nur solche Regeln enthalten denen jeder freiwillig zugestimmt
hat. Und rein Wirtschafts- libertäre werden kaum Regeln zustimmen oder „widerstandslos“
dauerhaft akzeptieren, die ihre freie Verfügungsgewalt an ihrem Eigentum einschränken oder
öffentlichen Institutionen dafür die nicht in ihrem Sinne beschränkte Macht gibt.
Zum andern gibt es den utilitaristischen Ansatz. Dieser orientiert sich nur am Gesamtergebnis und
nicht an den Vor- oder Nachteilen für einzelne. Und abschließend gibt es noch Sichtweisen, wie die
Originalposition, von John Rawls, bzw. Aristoteles. Hier sollen sich alle Vertragspartner gedanklich
einmal in die Position der anderen versetzen, und sich vorstellen, dass sie nicht wüssten in welcher
Position sie sich zukünftig, nach Vertragsabschluss, wiederfinden werden. Dadurch soll ein Vertrag
eine Verfassung entstehen oder eine Anwendung von Regeln erfolgen, welche jeder freiwillig
zustimmen kann. Also das Endergebnis soll den Werten und Interessen jedes einzelnen hinterher
möglichst gerecht werden.
Hier sieht man mal wieder schön, in wieweit ein einzelnes Wort, hier „kann“, einem Satz direkt
einen ganz anderen Sinn geben kann. Wenn man ein Regelwerk sucht, dem jeder zustimmen kann,
provoziert dies direkt die Nachfrage, nach welchen Kriterien man denn entscheidet, welchen Regeln
jeder zustimmen können sollte. Also die Nachfrage nach der Moral oder Ethik, welche hinter solch
einer Entscheidung steht. Es handelt sich daher um eine normative Entscheidung. Ebenso wird es
hier meist auch um die Frage gehen, welche Regeln denn nun Werte- gebunden in einer Verfassung
nicht fehlen sollen und nicht nur welche drin stehen dürfen.
Ohne das Wort „kann“ ergibt sich die Aussage, dass eine Verfassung oder ein Vertrag nur diejenigen
Regeln enthalten soll, denen jeder freiwillig zugestimmt hat. Es geht als gerade nicht um eine
normative Bewertung dieser Entscheidung, nicht um die Frage nach welchen moralischen oder
ethischen Prinzipien sie erfolgt ist. Nicht mal ob sie, aus Sicht eines unbeteiligten Beobachters,
vorteilhaft war. Man kann höchstens noch darüber streiten, was man unter „freiwillig“ versteht.
Geht es nur um unmittelbaren Zwang. Oder ist hier auch Not ein Grund von „unfreiwillig“ zu
sprechen. Auf jeden Fall steht bei dieser Formulierung wohl der Wille im Vordergrund, dass am
Ende nur das in einer Verfassung oder im einem Vertrag steht, was jeder haben wollte, oder
zumindest was jedem als Tausch gegen eine andere Regel tolerabel genug erschien.
Ganz im Sinne des Prinzips:
Die freie Verfügungsgewalt über das eigene Eigentum ist am wichtigsten.
Oder die freie Verfügungsgewalt über den Umgang mit und die Verwendung von
Leistungsbilanzüberschüssen …
Na, wenn man sich dann da mal keine Laus in den Pelz gesetzt hat.
Bleibt nur zu hoffen, dass „wir“ in Zukunft hinreichend ausgleichend, priorisierend und regulierend
genug wählen, entscheiden und handeln „können“.