Ein Kommentar zum Europawahlprogramm 2019 der CDU/CSU

Aus sicherheitspolitischer Sicht gibt es an dem Programm wenig zu beanstanden. Die dort zu Sprache gebrachten Vorstellungen entsprechen weitgehend denen der KSLP.

Ganz anders sieht es aus sozialpolitischer Sicht aus, zumindest in Bezug auf die faire und soziale Verteilung des gemeinsamen wirtschaftlichen Ertrags innerhalb der Eurogruppe und der EU.

Im Programm der Unionsparteien steht:
Soziale Sicherheit: Unser Europa lässt niemanden zurück.
Wir lassen die Schwächeren unserer Gesellschaft nicht im Stich. Solidarität ist die zwingende Ergänzung von Eigenverantwortung. Wir stehen in Deutschland für einen Sozialstaat, der Leistung anerkennt und einen fairen Ausgleich schafft. Auch unser Europa der sozialen Sicherheit weiß: Erwirtschaften kommt vor dem Verteilen. Und nicht alles ist mit Geld zu lösen. Unser Europa der sozialen Sicherheit konzentriert sich auf Grundstandards bei Arbeitnehmerrechten sowie Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards. Gleichwohl bleiben Mitgliedstaaten für die sozialen Sicherungssysteme, Regulierungen zum Mindestlohn oder der Altersvorsorge selbst verantwortlich. Europäische Regelungen dürfen nationale Schutzstandards, Mitbestimmungsrechte und Sicherungsniveaus nicht aufheben, aushebeln oder unterlaufen. In Europa muss klar sein: Wer sein Recht auf Freizügigkeit ausübt, sollte keine Nachteile erleiden. Deshalb werden wir daran arbeiten, die Mobilität von Arbeitnehmern in der EU weiterhin zu verbessern, möglichst unbürokratisch zu gestalten und besser zu koordinieren. Dies gilt auch bei der Altersvorsorge: Wer im Laufe des Erwerbslebens in unterschiedlichen Ländern der EU gearbeitet hat, soll dadurch keine Nachteile bei seiner Rente haben. Wir bekennen uns zum Ziel, dass sich in Deutschland wie in der gesamten Europäischen Union die Lebensverhältnisse weiter angleichen. Struktur- und Investitionsfonds wollen wir zukünftig noch stärker auf Projekte ausrichten, die die Wettbewerbsfähigkeit steigern und Arbeitsplätze schaffen. Damit sich die Anstrengungen des Strukturwandels auch in den europäischen Beihilferegeln widerspiegeln, setzen wir uns dafür ein, die europäischen Wettbewerbsregeln für die vom Ausstieg aus der Braunkohle unmittelbar betroffenen Regionen so anzuwenden, dass die Ansiedlung neuer Branchen und die Schaffung von Arbeitsplätzen unterstützt wird. Flexible Regeln für die betroffenen Regionen müssen möglich sein.“

Zunächst steht hier: „Unser Europa lässt niemanden zurück“.
Das hört sich aus sozialer Sicht ja erst einmal sehr gut an.
Allerdings stellt sich dabei natürlich direkt die Frage:
Wer ist damit alles gemeint und in welchem Zustand wird man nicht zurückgelassen?

Die Antwort darauf erhält man dann in den nächsten Sätzen:
Zunächst heißt es „Wir lassen die Schwächeren unserer Gesellschaft nicht im Stich. Solidarität ist die zwingende Ergänzung von Eigenverantwortung. Wir stehen in Deutschland für einen Sozialstaat, der Leistung anerkennt und einen fairen Ausgleich schafft. „
Auf den Kontext bezogen scheint mit „unserer Gesellschaft“ die deutsche gemeint zu sein. Also zumindest die Europäer mit deutscher Staatsbürgerschaft sollen anscheinend schon mal mindestens fair und sozial am gemeinsamen Ertrag beteiligt werden.

Stellt sich noch die Frage welcher soziale und faire Anteil für den Rest der EU- Bürger laut dem Wahlprogramm vorgesehen ist.
Zitat:
„Unser Europa der sozialen Sicherheit konzentriert sich auf Grundstandards bei Arbeitnehmerrechten sowie Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards. Gleichwohl bleiben Mitgliedstaaten für die sozialen Sicherungssysteme, Regulierungen zum Mindestlohn oder der Altersvorsorge selbst verantwortlich. „

Das hört sich dann sozialpolitisch leider fast nach dem Worst- Case Szenario an.
Für die soziale Absicherung und die Rente soll jeder EU- Mitgliedsstaat selbst verantwortlich sein. Einen gemeinsamen unteren Mindestlohn soll es nicht geben. Also kann es hier jederzeit zu einem „Race To The Bottom“ kommen.

Also aus der Aussage „Unser Europa lässt niemanden zurück“ scheint sich nur für deutsche Staatsbürger eine Aussicht auf die soziale Sicherung eines lebenswertes Existenzminimums zu ergeben. Außer mit den „Grundstandards bei … Gesundheitsschutzstandards“ ist das Anrecht auf eine Gesundheitsversorgung gemeint, welche dann auch natürlich eine lebenserhaltende ernährungstechnische Versorgung beinhalten müsste. Da es dann aber im weiteren heißt „Gleichwohl bleiben Mitgliedstaaten für die sozialen Sicherungssysteme … selbst verantwortlich.“ ist dies eine Interpretation welche wohl nur für Menschen in Frage kommt, die ihr Gewissen beruhigen wollen, wenn sie tatsächlich eine der Unionsparteien wählen wollen.

Und die Frage, ob ein finanzieller Ausgleich zwischen den EU Staaten nicht schon zur Sicherung der eigenen Interessen notwendig ist, damit sich Staaten wie Italien und Griechenland nicht anderen Bündnissen zuwenden (müssen), Stichworte „Neue Seidenstraße“ und „Mittelmeerzugang für Russland“, stellt sich natürlich auch noch.
Ebenso ob dieser aus Gründen der Fairness nicht geboten wäre.
Hierzu ein paar Fakten zum Euroraum und zum EU- Binnenmarkt, welche bereits in einem der vorherigen Blog- Beiträgen genannt wurden:

  • Im Euroraum und dem Binnenmarkt der EU konkurrieren wir weiterhin um die Finanzierung unserer nationalen Haushalte und Sozialversicherungssysteme
  • Haben einzelne Staaten hier wegen ihrer Größe, ihrer geografischen oder klimatischen Lage, ihrer Bevölkerungsgröße, ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu Beginn
    der gemeinsamen Union, der Größe ihres Sprachraumes, also bezüglich des Nutzens des Erlernen der Sprache, usw. einfach einen natürlichen Vorteil gegenüber anderen?
  • Bei einer gemeinsamen Währung findet keine Wechselkurs- bedingte Anpassung der Außenhandelsbilanzen statt. Die Wettbewerbsfähigkeit muss durch ein Drücken der Löhne und dadurch dann der Mieten, usw. bewusst herbeigeführt werden. Das ist mit Sicherheit politisch sehr viel schwerer, oder auch gar nicht durchzusetzen.
  • Besonders wichtig: Drittländer können in einem Land ihre Waren verkaufen und in einem anderen einkaufen. Und das taucht in keiner bilateralen Leistungsbilanz auf. Das geht bei getrennten Währungen nicht.
  • Race to the Bottom: Wenn ein Land mit seinen Sozialstandards, Unternehmenssteuern, Mindeststandards für Drittländer, usw… nach unter geht, müssen dies die anderen auch, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
    Besonderes Problem: wenn der Euroraum eine negative Bilanz nach außen hat, dann reicht es nicht mal, dass sich das wirtschaftlich stärkste Land mit einer ausgeglichenen Gesamt- Bilanz zufrieden geben würde, da dann mindestens einige der andere EU- Staaten ein Minus haben müssten.
    Das führt auch, wenn keiner Eingreift zum Race to the Bottom.
    Besonders und teilweise kaum nachprüfbar im Euroraum aber auch schon im gemeinsamen Binnenmarkt mit den 4 Freiheiten.
    Wenn das Land, dass die beste Ausgangsposition hat maximal runter geht, bis an die Schmerz- und Gefahrgrenze, müssen die anderen unter diese Grenze.
  • Bei den 4 Freiheiten: (Kapital, Personen, Waren und Dienstleistungen) kann man auch mit dem Kapital des Bilanz- Überschusses sich im anderen Land alles kaufen bevor es einen Währungsausgleich gibt. Auch Zeitungen usw… . Damit hat man eine riesen Macht in dem anderen Land.
  • Es besteht die allgemeine Gefahr zuviel Kapital aus dem Ausland zum Schulden machen und zum Ausgeben für Soziales und der Sicherheit, usw. zu beziehen als man zuvor zur Kapital-Verwaltung nach außen gegeben hat. Daher ist die EU- Schuldenbremse unserer Ansicht nach für solche Fälle richtig.
  • Es gibt natürlich auch zwischenstaatliche Unterschiede in der Produktivität, welche durch gute Bildungspolitik, usw… realisiert wurden, hier ist zu prüfen wie man das fördert und angemessen belohnen kann ohne die anderen gleich ins Unglück zu stürzten, oder den ganzen eigenen Bilanzüberschuss dadurch erklären zu wollen (Stichwort: Hausaufgaben gemacht) 😉
  • Ein Wort zu denen, die kein Ausgleichssystem wollen: Die Ressourcen und die guten Produktionsbedingungen sind nun einmal unterschiedlich verteilt, wenn man nicht will, dass man wieder zur konkurierenden Bündnispolitik („Triple Entente“, usw.) zurückfällt, muss man sich gegenseitig eben fair, demokratisch legitimiert, einen Ausgleich und eine Existenzsicherung soweit möglich garantieren. Alles andere führt nur wieder zum Krieg.
  • Und ob es gut gehen kann, dass Jobsuchende aus EU- Ländern mit geringer Wirtschaftskraft, dann zu uns kommen (müssen) um Arbeit zu finden und dann bei uns in unsere Sozialsysteme und unsere öffentliche Haushalte einzahlen müssen, während bei denen zu Hause dann die Beiträge fehlen, ist wohl auch zu bezweifeln. Das muss doch irgendwann zu Aggressionen führen.

Bei der Europawahl 2019 stellen nicht nur diejenigen Parteien eine Bedrohung für die EU da, die aus unbegründeten nationalen Bestrebungen die EU abschaffen oder zumindest politisch minimieren wollen, sondern vor allem auch diejenigen, welche auf Kosten anderer EU- Mitgliedsstaaten sich einen unfairen und unsozialen Vorteil verschaffen wollen.

Und unter Berücksichtigung der genannten Fakten würde die Umsetzung der
im Wahlprogramm genannten Positionen leider genau zu solch einem
unfairen und unsozialen Vorteil führen.

Daran ändert auch das genannte Ziel „Wir bekennen uns zum Ziel, dass sich in Deutschland wie in der gesamten Europäischen Union die Lebensverhältnisse weiter angleichen.“ nichts. Dies hört sich mehr nach einer Aussage von Kandidaten bei einem Schönheitswettbewerb an, welche sich dann den „Weltfrieden“ wünschen. Es ist zwar begrüßenswert, dass Strukturfonds zur Erreichung dieses Ziels eingesetzt werden sollen aber wie soziale Misstände und unfaire Konstellationen auf dem Weg dorthin vermieden werden sollen wird nirgendwo genannt, nur was man alles nicht tun möchte.
Und dass eine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit eines EU- Staates zur Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit eines anderen EU- Staates im EU- interne Wettbewerb führen kann und wohl auch wird, wird auch nirgendwo erwähnt.