Gedanken zur Rolle der Gewerkschaften

Zunächst mal ist hier positiv hervorzuheben, dass durch den Zusammenschluss von Arbeitnehmern deren Marktposition verbessert werden kann. Zum Beispiel kann auch ohne staatlichen Mindestlohn, durch (Flächen-) Tarifverträge ein anständiges Mindestgehalt und anständige Arbeitsbedingungen heraus verhandelt werden, zur Not mit Streiks. Vor allem, bei Verhandlungen mit Arbeitgebern mit größerer Marktmacht oder in Zeiten und/oder an Orten mit wenig vergleichbarer Arbeit ist dies wichtig.

In Deutschland gibt es darüber hinaus auch noch das Mitbestimmungsrecht, welches den Arbeitnehmervertretungen ein je nach Betriebsgröße und Betriebsart mehr oder weniger umfangreiches Mitspracherecht bei Unternehmensentscheidungen einräumt. Hierbei ist wiederum zwischen Mitspracherecht von Betriebsräten und von Gewerkschaften zu Unterscheiden. Im zweitem Fall können Arbeitnehmervertretungen dann ihre Ansprüche, Interessen und Vorstellungen besser überregional bündeln.

Es wäre mit Sicherheit einmal spannend zu untersuchen inwieweit dieses Mitspracherecht einem Anteil daran hatte, dass in Deutschland weit mehr Industriearbeitsplätze erhalten bleiben konnten, als in anderen hochentwickelten Staaten wie zum Beispiel in den USA oder GB. Hier könnten natürlich auch andere Faktoren die ausschlaggebende Rolle gespielt haben, aber das müsste man sich dann genau im Detail ansehen.

Natürlich besteht auch bei der Gewerkschaftsmacht wie bei allen Mächten, die Gefahr des Missbrauchs. Einerseits können besser organisierte oder weniger leicht ersetzbare Arbeitnehmer hierdurch einen höheren Lohn und bessere Arbeitsbedingung für sich heraushandeln als weniger gut organisierte oder ersetzbarere und sich dadurch eine eventuell unfaire relative Besserstellung verschaffen. Andererseits können die Löhne soweit steigen und die Arbeitszeit soweit nach unten gehen, dass der wirtschaftliche Gesamtertrag, vor allem mit Blick auf den Außenhandel dadurch in kritischem Umfang zurückgeht. Außerdem könnte die nötige Flexibilität und wirtschaftliche Handlungsfähigkeit durch zu viele nur lokal motivierte, Partialinteressen dienende, Regelungen zu stark eingeschränkt werden. Da muss der Staat dann zur Not auch zur Sicherung der zweckgebundenen wirtschaftlichen Freiheit zum Wohle der Allgemeinheit und der Gerechtigkeit eingreifen.

Sehr wichtig ist es in diesem Zusammenhang auch einmal den Einfluss der deutschen Gewerkschaften auf die Gesamtverteilung der Arbeitsplätze, vor allem in der EU, auch im Hinblick auf das Gehalt zu betrachten. Und zwar auch im Hinblick darauf, welche potentielle Rolle die deutschen Gewerkschaften spielen könnten, wenn sie ihre Möglichkeiten voll ausschöpfen würden.

Hier drängen sich einem vor allem 2 Fragen auf:
– Könnten die deutschen Gewerkschaften entscheidend Einfluss darauf nehmen, dass sich die Arbeit in der EU und vor allem in der Eurozone gleichmäßiger verteilt, damit es zu keinen so großen Leistungsbilanzsaldo- Differenzen mehr kommt?
– Nehmen die deutschen Gewerkschaften eventuell im negativen Sinne sogar sachon Einfluss darauf, dass sich in Deutschland ein unfair großer Anteil an Arbeitsplätzen halten kann?

Daran, dass es in den anderen EU- Staaten keine vergleichbare Form der gewerkschaftlichen Mitbestimmung gibt, tragen natürlich die Regierungen in den anderen EU- Staaten selbst die Verantwortung. Wenn sich daraus ein Vorteil für Deutschland ergeben sollte, sind die anderen Staaten, zumindest in diesem Punkt selbst Schuld und hätten selbst die Möglichkeit dies zu ändern.

Und auch die deutschen Gewerkschaften fordern als einen Teilaspekt eines sozialen Europas ja auch, dass es überall in der EU solch eine Form der Mitbestimmung geben sollte wie in Deutschland. Beim Teilaspekt machbare gemeinsame soziale Sicherheitssysteme in der EU und vor allem in der Eurozone halten sich die deutschen Gewerkschaften aber auch noch (zu) stark zurück. Gründe dafür, dass sich dies ändern sollte wurden hier genannt:
https://konservativsozialliberaleplattform.org/2019/06/23/warum-die-eurozone-und-die-eu-zurzeit-wenig-sozial-und-unsicher-ist-und-was-man-dagegen-tun-kann/

Die deutschen Gewerkschaften sollten aber vor allem aufpassen, dass sie sich nicht vor den rechts- liberalen (oder gar libertären) Karren spannen lassen. Also sie sollten aufpassen, dass sie sich nicht bewusst im Rahmen ihrer Möglichkeiten gesellschaftlich unsolidarisch (nach innen und außen) verhalten und politisch für den freien Markt und nur den eigenen nationalen Vorteil einsetzen.

Für die deutschen Gewerkschaften gilt das gleiche wie für alle deutschen Institutionen und Verbände: Unsolidarisches Verhalten führt uns nur mittel- und langfristig ins Abseits und das würde uns nicht gut bekommen.