Von Stanley Hoffmann’s „The European Sisyphus, Essays On Europe, 1964-1994“: „Europe’s Identity Crisis: Between the Past and America“

Ich war vor kurzem mal über die Bedeutung der Begriffe „Funktionalismus“ und „Institutionalismus“ innerhalb der Politikwissenschaft, genauer der Internationalen Beziehungen, gestolpert.

Der Funktionalismus wird ja im Ursprung David Mitrany zugeschrieben, der das Streben nach einer föderativen Lösung der Konflikt zwischen Staaten, im konstitutionellem Sinne, als zu illusionistisch, zumindest zu zeitaufwendig und zu sperrig für eine schnelle greifbare Lösung der aktuellen Konflikte ansah. Deshalb war er für einen funktionaleren Ansatz der Regelung internationaler Beziehungen. Nur das was man aktuell brauchte sollte geregelt werden und (erstmal) keine supranationale konstitutive neue Gemeinschaft direkt angestrebt werden.

Wobei der Funktionalismus meist als eine politische Theorie verstanden wird, die supranationale Vereinigungen nicht ablehnt sondern nur einen Bottom-Up Prozess anstatt eines fertigen Top-Down Systems als realistischer für die Umsetzung und brauchbarer für das aktuell Notwendige ansieht. Daher gilt er auch als eine Unterart des Institutionalismus

Auf ersterem baut auch der Neofunktionalismus von Ernst B. Haas auf, der der Gemeinschaftsmethode von Jean Monnet, nach Meinung einiger, damit eine wissenschaftliche Basis geben wollte.

Jean Monnet schwebte laut Wikipedia ein schrittweiser funktionaler Zusammenschluss der Europäischen Staaten, allerdings direkt mit starken gemeinsamen Institutionen, wie der Hohe Behörde der Montanunion, und einem zweckgebundenen festen Regelwerk vor. Gemeinsames Recht und supranationale Entscheidungen sollten für die Mitgliedstaaten bindend sein.

Ernst B. Haas hat dem dann in seiner „Neo“- Variante noch den Spill-Over-Effekt hinzugefügt, der besagt, dass einzelne Integrationsschritte mehr oder weniger direkt weitere antriggern würden.

Daraus Endstand dann das Narrativ der „immer engeren Union“, welche automatisch aus der Integrationsdynamik entstehen solle.

Dem Institutionalismus im ganzen, also auch dem Funktionalismus, steht der Realismus und der Intergouvernementalismus entgegen. Der Realismus geht grob gesagt von der Eigennutz- Intention der Menschen aus, und das eine gemeinsame suprastaatliche Ebene entweder gar nicht angestrebt werden würde oder nur soweit diese nutzt. Der Intergouvernementalismus ist daher auch als Reaktion auf den Automatismus- Glaube des Neofunktionalismus entstanden. Ersterer geht geht davon aus, dass weitere Integrationsschritte nur kommen wenn die Staaten, oder besser gesagt die von deren Bevölkerung gewählten Repräsentanten auch einen Nutzen darin sehen. Diese Richtungen gehen also von einem Homo oeconomicus aus.

Der neuste Vertreter dieser Gattung ist dann der liberale Intergouvernementalismus von Andrew Moravcsik.

Diese Theorie baut auf der Arbeit Stanley Hoffmanns auf. Jener kritisiert in seinem Aufsatz „Europe’s Identity Crisis: Between the Past and America“ genau Monnets Gemeinschaftsmethode als „form over content“ ohne Ziel und Funktion und den Neofunktionalismus als „the competition for the control of the distribution of plenty“ also Eigeninteressen würden in der Verteilung des gemeinsam Produzierten vorherrschen. Und der Föderalismus ist für ihn nur eine Verlagerung des Problems „How to forge a common will out of a clash of wills“.

Bleibt an Theorien noch der Konstruktivismus zu nennen der unter anderem von Alexander Wendt vertreten wird und wieder an den Idealismus und die normative Gesinnung anknüpft die den Institutionalisten auschlaggebend war. Die gemeinsamen Werte sind ihr ausschlaggebend und nicht (primär) die Interessen.

Damit wären wir auch bei der Wissenschaft der internationalen Beziehungen wieder bei der alten Frage: Werte und faire Interessen oder doch reiner Eigennutz, was treibt die meisten Menschen und besonders die Regierenden am stärksten an?

Diese Frage kennt man ja schon aus der politischen Ökonomie und der Verfassungsethik.

Hier ist vor allem auch wichtig aus welcher Intention heraus man sich diese Frage stellt.
Zählt man sich selbst zum Eigennutzlager und möchte nur noch die passende Theorie und Moral für sich oder diese Gruppe deren Interessen man vertreten will haben?

Oder ist man optimistischer Idealist?

Oder geht es einem wirklich nur um eine realistische Beurteilung von den Möglichkeiten nachhaltig menschlichen Zusammenlebens ohne Elend und Krieg?

Die Institutionalisten haben mit Sicherheit einen normativen Sollzustand beschrieben für Menschen die letztgenanntes wollen. Und direkt nach dem 1. und 2. Weltkrieg wirkte solch eine zumindest schrittweise zeitnahe Erreichung wohl auch durchaus realistisch.

Die Automatismusannahme der Neofunktionalsten war oder ist dann aber eben tatsächlich zu gefährlich optimistisch. Oder gleich Interessengeleitet. Immerhin wird so die Errichtung eines gemeinsamen Zwangssystems wirtschaftlicher Freiheit, um mal wieder Christian Felber, GWÖ, zu zitieren, hier mit dem Narrativ einer auch (sozial-) politisch immer enger werdenden Union sozial und sicher schmackhaft gemacht. Damit ist/war diese Theorie natürlich perfekt geeignet (neo-)proprietäre oder politische Zwangsjacken für alle Ziele“-Schmollers-Saboteure Ziele mehr oder weniger verdeckt und mit Anreize für Freimarkt- Gewinnler mehrheitsfähig und damit demokratisch politisch umsetzbar zu machen. Also Standortwettbewerbs- und Einkommens- Gewinnler können so von proprietär gesinnten Wohlhabenden nutzbar gemacht werden. Oder alle drei für diejenigen die wollen, dass die Staaten der EU oder gleich des Westens sich gegenseitig in Grund und Boden existenziell konkurrieren und somit das Außen herrschen kann, oder dass es zu einem destruktiv revolutionären Umbruch kommt.

Wenn man durch den Zwang zur nationalstaatlichen Hinnahme des unmittelbaren, meist vermachteten und mit ungleich verteilten nationalen „Standortkarten“ Zustande gekommenen Verteilungsergebnisses des gemeinsamen Marktes einige Staatsgesellschaften schon wissen, dass sie aktuell vom verteilungsfreien Istzustand profitieren und es noch dazu mächtige proprietäre und zumindest mit Sabotage-Motiv ausgestattete Akteure in den Medien, Parteien und unter den Marktteilnehmern gibt, muss man sich nicht wundern wenn es höchsten sozial(-politisch) für einige bis viele eng wird anstatt dass die Union in dem Punkt engere Sozialunion „punkten“ würde.

Wenn die Nutznießer der aktuellen Integrationsstufe den nächsten Schritt verweigern müssen die andern eben wieder zur Not einen Schritt zurück.

Es gilt eben, wer gemeinsam wirtschaftet hat meist einen höheren Gesamtertrag. Der muss dann aber auch nachhaltig fair und soweit möglich bedarfsdeckend verteilt werden, damit niemand einen Grund oder die Not hat das gemeinsame wirtschaften wieder einzustellen. Hier spielt auch schon die nachhaltige faire Verteilung der Produktionsfaktoren eine entscheidende Rolle.

Es gilt eben auch: Wer gemeinsam wirtschaftet muss auch fair teilen, sonst kann man nicht gemeinsam wirtschaften. Und dann muss man sich trennen. Und wenn man sich da auch nicht hinreichend friedlich fair und ideologiefrei einigt gibt es meist Krieg oder Elend oder beides.

Es braucht eben einen zumindest hinreichenden universell moralischen Selbstanspruch hinreichend vieler interventionistisch Veranlagter und hinreichend Mächtiger.

Zumindest da hatte Edward Hallett Carr recht, den Faktor Macht muss man immer hinreichend und nachhaltig mit berücksichtigen.