Großbritannien: Fabian Society, New Labour und der freie Markt

Die Fabian Society (https://de.wikipedia.org/wiki/Fabian_Society) geht ja auf die „The Fellowship of the New Life (1883-1899)“ – Bewegung (https://de.wikipedia.org/wiki/The_Fellowship_of_the_New_Life), welche sich dem Ziel verschrieben hatte die „Kultivierung eines perfekten Charakters in jeder Hinsicht“ zu erreichen, zurück.

Aus dieser Bewegung heraus wurde 1884 die Fabian Society gegründet, um sich für die politische Umsetzung dieses Zieles einzusetzen. Wobei der Schwerpunkt der politischen Arbeit von Anfang an auf die Sozialisierung der Gesellschaft gelegt wurde. Allerdings auf einem reformistisch, evolutionärem Weg, nicht durch Revolution.

Die Fabian Society entstand also zu einer Zeit als in Großbritannien der Manchester Kapitalismus (https://de.wikipedia.org/wiki/Manchesterliberalismus) bzw. Gladstone Liberalismus (https://en.wikipedia.org/wiki/Gladstonian_liberalism) politisch den meisten Einfluss hatte.
Also laissez-faire pur.

Zusammen mit mit mehreren Gewerkschaften, der linken politischen Partei „Independent Labour Party“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Independent_Labour_Party) und der sozialistischen Partei „Social Democratic Federation“ (https://en.wikipedia.org/wiki/Social_Democratic_Federation) gründete die Fabian Society dann 1900 das „Labour Representation Committee“ (https://en.wikipedia.org/wiki/Labour_Representation_Committee_(1900)), aus welchem dann 1906 die Labour Party (https://de.wikipedia.org/wiki/Labour_Party) entstand, mit.

Mitglieder der Fabian Society setzten sich dann innenpolitisch durchaus erfolgreich für Mindestlöhne, Wohlfahrtstaatsprogramme und staatliche soziale Sicherheit ein.

Außenpolitisch unterstütze aber zumindest die erste Generation der „Fabianer“ die Aufrechterhaltung des Britischen Empires auch gegen den Willen einzelner „Mitgliedsstaaten“, und vor allem auch die Aufrechterhaltung des freien Marktes (https://en.wikipedia.org/wiki/Liberal_internationalism) im Empire. Wikipedia-Zitat zur Positionierung der Fabian Society zur Außenpolitik 1900 in deren Buch „Fabianism and the Empire“: „The question was whether Britain would be the centre of a world empire or whether it would lose its colonies and end up as just two islands in the North Atlantic. It expressed support for Britain in the Boer War because small nations, such as the Boers, were anachronisms in the age of empires.“

Aus der Zeit der ersten Generation der Fabianer ist noch die Auseinandersetzung zwischen H.G. Wells (https://en.wikipedia.org/wiki/H._G._Wells) und George Bernard Shaw (https://en.wikipedia.org/wiki/George_Bernard_Shaw) zur sozialpolitischen Ausrichtung der Society besonders bemerkenswert (https://www.nytimes.com/2020/07/24/books/hg-wells-and-george-bernard-shaw-fight-over-socialism.html). Da muss man wohl leider sagen, dass damals mit Herrn Wells die international sozial kooperativ ambitioniertere Gruppierung unterlegen war.

Von der zweiten Generation sei G. D. H. Cole (https://en.wikipedia.org/wiki/G._D._H._Cole), mit seiner Theorie des Gildensozialismus (https://de.wikipedia.org/wiki/Gildensozialismus) kurz erwähnt.

John Maynard Keynes war, nach diesem Artikel (https://www.sabhlokcity.com/2011/09/keynes-was-not-technically-a-fabian-but-was-fabian-socialist-nevertheless/) auch mit der Fabian Society verbunden, wenn auch kein offizielles Mitglied.

In den 1990 kam dann New Labour, mit dem „Fabianer“ Tony Blair (https://de.wikipedia.org/wiki/Tony_Blair), Peter Mandelson (https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Mandelson) und Anthony Giddens (https://de.wikipedia.org/wiki/Anthony_Giddens).

Tony Blair und Anthony Giddens hatten 1994 „New Labour“ als dritten Weg zwischen laissez faire und Sozialismus vorgestellt. Vor allem das Ziel im Parteiprogramm von Labour die Schlüsselindustrie zu verstaatlichen wurde von Tony Blair gestrichen. Peter Mandelson wiederum gilt als der Hauptarchitekt hinter der Konzeption von New Labour, welches nicht nur Verstaatlichungen der Schlüsselindustrien ablehnt, sondern auch international auf einen Freimarkt setzt an den man sich national einfach möglichst sozialverträglich anzupassen hat. Also die Zementierung der Hyperglobalisierung, und die eigene Rolle darin, einfach hinnehmen.
Am besten deutlich wird dies durch das Schröder-Blair-Papier von 1999 (http://www.glasnost.de/pol/schroederblair.html), welches die europäische Sozialdemokratie „erneuern“ wollte.

Darin heißt es u. a.: „Um dieser Herausforderung begegnen zu können, müssen die europäischen Sozialdemokraten gemeinsam eine neue angebotsorientierte Agenda für die Linke formulieren und umsetzen.“. Immerhin kam hier noch das Wort „gemeinsam“ vor.
Und es ist zwar, auch meiner Meinung nach richtig, dass man sich in einem freien Weltmarkt verstärkt darum kümmern muss, von der globalen Gesamt- Nachfrage ein zumindest ausreichend großes, aber aus nachhaltigen und nicht zuletzt auch nach außen hin solidarischen Gründen kein zu großes Stück selbst, durch ein eigenes, oder besser noch eines gemeinsam mit anderen erbrachten Angebots, mit entsprechendem Eigenanteil, bedienen zu können. Aber dabei muss man eben auch die globale Gesamtnachfrage im Auge behalten, wenn jede Nation weniger Löhne zahlt, weniger für Soziales ausgibt und weniger umverteilt an diejenigen die noch den größten „Einkaufsbedarf“ haben, geht auch die transnationale Gesamtnachfrage zurück. Ein internationaler Markt braucht eben auch eine international koordinierte Nachfragepolitik. Und wenn schon die sozialdemokratischen Parteien anstatt politisch zu kooperieren, und z. B. eine koordinierte Lohn- und Steuerpolitik betreiben, sich gegenseitig auch durch steuerlichen und Lohndrückungs- Wettbewerb unterbieten wollen, eventuell zumindest noch mit dem gemeinschaftlichen Ziel als EU nach außen hin preiswerter Anbieten zu können, um den Preis großer nationaler Einkommensunterschiede und internationaler Leistungsbilanzdifferenzen, muss man sich nicht wundern, wenn immer mehr Staaten der EU und auch sonst auf der Welt in Schwierigkeiten geraden.

Ein gemeinsamer Markt bedeutet eben, dass man sich dazu entschlossen hat, gemeinsame zu wirtschaften, also einen gemeinsamen Ertrag einzufahren. Und den muss man hinterher natürlich fair verteilen. Sonst bricht wieder das Zeitalter des ebenfalls unkooperativen, übertriebenen Protektionismus und der übertrieben Abschottung ein, und das wäre auch, wenn nicht, vor allem, für Deutschland schlecht. Wir sollten daher unseren aktuellen Vorteil im internationalen Freihandel nicht soweit wie möglich kurzfristig ausschöpfen wollen, sondern nachhaltig kooperativ und zum gemeinsamen Gemeinwohl nach außen handeln. Alleine stehen wir schlecht da und wenn wir nur auf unsoziale Partner setzen, leben wir hinterher, wenn wir auch mal wieder in einer ungünstigeren Lage sind, in einer zu unsozialen Welt, als dass wir dann auf andere zählen könnten. Wenn es nicht vorher eh schon zu erfolgreichen Aufständen und zum Zusammenbruch gekommen ist. Und das sollte nicht nur die Sozialdemokratie verhindern wollen.

Daher nochmal das selbe was ich auch schon in meinen vorherigen Beiträgen häufig geschrieben habe:

„Ein gemeinsamer Markt, national oder transnational, braucht einen Ausgleich, wirtschaftlicher oder finanzieller Art, eine Priorisierung der Wirtschaftstätigkeit hin zur allgemeinen
Grundbedarfssicherung und hinreichende staatliche Regulierung für soziale, ökologische oder
sicherheitsrelevante Zwecke.
Ein Ausgleich ist wichtig, da die wirtschaftliche Konzentrationskraft des Marktes hin zu Standorten
mit optimalen Produktionsbedingungen einfach zu groß ist, um die unkorrigierte
Marktentscheidung einfach komplett akzeptieren oder tolerieren zu können.
Das ergibt sich ja schon aus der Hauptaufgabe des Marktes, durch einen fairen Wettbewerb der
Ideen, die optimale Kombination der Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital zu finden. Zur
Erfüllung der Kundenwünsche.“

International muss man also offene Bündnisse mit zumindest hinreichend vielen Staaten anstreben, die dies auch so sehen und umsetzen wollen. Und dann muss man sich von den übrigen, die dies nicht so sehen hinreichend schützen.

Eine Entgegnung auf den Artikel „SICH ABSCHOTTEN NUTZT KEINEM“ von Jakob von Weizsäcker im aktuellen Vorwärts

Jakob von Weizsäcker (SPD), Chefvolkswirt im Bundesfinanzministerium hat für den neuesten „Vorwärts“ einen Artikel geschrieben, „SICH ABSCHOTTEN NUTZT KEINEM“.

Darin kritisiert er einerseits einen wieder erstarkenden Wirtschaftsnationalismus, welcher sich dadurch zeigen würde, dass einige Staatenlenker mächtiger Staaten, ohne einen Namen zu nennen, auch schon vor der Corona- Pandemie begonnen hätten der „protektionistischen Irrlehre“ zu folgen, dass die Weltwirtschaft ein „merkantilistisches Nullsumenspiel“ sei, in welchem der Starke versuchen sollte anderen Nationen seinen Willen durch Tricks und Erpressung aufzuzwingen.
Als anderes Negativbeispiel für die aktuelle Entwicklung nennt er Vorschläge, er hat dabei wohl Bayern im Blick, dass ein „Präventismus als neuer Protektionismus“ aktuell entstehen würde, welcher Handelsbeziehungen zu anderen Nationen deshalb „kappen“ bzw. „reshoren“ wolle, da man sonst Gefahr laufen würde, dass die anderen später ihrerseits zu einem ungünstigen Zeitpunkt die Handelsströme „kappen“ könnten.

Das klingt zunächst mal sehr nach der alt bekannten kurzsichtig national sozialen bzw. national wirtschaftslibertären Darstellung, dass der frei oder offene Markt schon von sich aus fair und solidarisch wäre, da er jedem Menschen aus jedem Staat die gleichen Chancen auf Wohlstand oder zumindest auf ein auskömmliches Einkommen bieten würde und die Gesamtleistungskraft der Weltwirtschaft dadurch so groß werden würde, dass es irgendwann von alleine schon durch die Ausgleichskräfte des Marktes für alle reichen würde.

Darauf, dass ein freier und offener Weltmarkt vor allem den Staaten, welche über Standorte mit guten Produktionsbedingungen oder gefragten Ressourcen verfügen und zusätzlich selbst einen hohen Importbedarf haben, entgegenkommt wird dabei nicht eingegangen.

Und auch nicht darauf, dass die Konzentrationskraft der Wirtschaft hin zu wenigen Orten zu groß ist, als dass ein freier Markt alleine, mit zumindest ausreichender Sicherheit, zu einem Gleichgewichtszustand führen könnte, welchem jedem ein Auskommen ermöglichst, nicht mal nur für die Arbeitswilligen.

Es ist also wichtig zunächst mal zu unterscheiden aus welcher Intention heraus man sich für faire und offene Märkte einsetzt und bis zu welchem Punkt der Handel frei also sich selbst überlassen bleiben soll.

Einer der wichtigsten Gradmesser hierfür ist aber eben die Leistungsbilanz, zusammen mit dem Importbedarfsniveau und dem Lebensstandard, zumal wenn man über eine gemeinsame Währung verfügt.

Sobald man hier, zum Beispiel durch einen natürlichen Produktionsstandortsvorteil oder durch das vorhanden sein gefragter Ressourcen einen Überschuss aufweist und trotzdem nicht für einen primären wirtschaftlichen oder einen sekundären finanziellen Ausgleich sorgt, wenn dies von den Staaten mit einem Minus gefordert wird, verhält man sich unfair und unsozial. [Sparen für die Rente bei einer ungünstig verlaufenden demokratischen Entwicklung mag da ein berechtigter Einwand sein, dann muss man sich aber fair einigen und es nicht einfach einseitig so festlegen wollen, eventuell müssen die anderen auch für die Rente sparen.]

Obwohl man einen höheren Anteil an der Weltwirtschaftskraft besitzt als man aktuell benötigt oder für den aktuellen eigenen Konsum haben möchte versucht man nicht einen Ausgleich herbeizuführen, damit es für die anderen auch reicht, oder diese von ihrem Lebensstandard näher an den eigenen heranrücken können, sondern warnt nur gleich vor ideologischen Protektionisten, die sich komplett soweit es nur irgendwie geht zum eigenen Vorteil vom Rest der Welt abschotten wollen. Meistens wird dann noch auf die Weltwirtschaftskrise nach 1929 verwiesen.
Freilich ohne zu betonen, dass damals die „Hayek’sche den freien Markt einfach machen lassen“- Position zusammen mit der Politik des knappen Geldes die Krise erst richtig ins Rollen gebrachte hatte. Die dann noch von der US- Seite durchgeführten protektionistischen Maßnahmen hatten die Sache dann internationale nur noch weiter verschlimmert. Zumal die USA damals einen Leistungsbilanzüberschuss mit dem Rest der Welt hatten. Damals hatten wir das Defizit. Und das wurde dann natürlich als wir immer noch unseren Importbedarf decken mussten aber noch weniger Güter deswegen exportieren konnten noch größerer. (https://de.wikipedia.org/wiki/Weltwirtschaftskrise)

Also für das Urteil, ab wann ein Staat, welcher zu Abwehr- oder Schutzmaßnahmen im Handel mit einem anderen Staat greift unfair oder unsolidarisch handelt, ist es sehr entscheidend den Gesamt- Kontext zu betrachten.
Kurzgesagt: Ein Staat mit Überschuss, welcher zu solchen Mitteln greift, handelt dann meist unfair und unsozial einer mit Defizit meist nicht.

Außnahmen bilden zum Beispiel zu starke Abhängigkeiten bei wichtigen Gütern,
(siehe hier: https://rkslp.org/2019/06/30/ein-paar-uberlegungen-zu-leistungsbilanzen/).
Da gebe ich dann Herrn Söder von der CSU recht. Wobei dieser aber zusammen mit der gesamten Union immer noch viel zu sehr versucht unseren Überschuss schön zu reden und sich zumindest bisher noch gegen jeglichen, wie schon mehrfach beschrieben, aus fairen, solidarischen und nicht zuletzt dadurch auch aus eigennützigen Gründen nötigen Ausgleich vor allem mit den Eurostaaten aber auch mit dem Rest der EU, Europas und der Welt stemmt.

Wer sich anderen gegenüber nicht fair und machbar solidarisch genug verhält, steht früher oder später alleine da und hat dann ein schlechtes Vorbild abgegeben, wenn er selbst mal auf Solidarität angewiesen ist.

Deshalb gilt: der Markt darf nicht zu frei sein. (#nichtzufrei, #nottoofree)

Zumindest das scheint auch Herr Weizsäcker mehr oder weniger so zu sehen, wenn er schreibt, dass „wenn der Handel nicht nur frei, sondern auch fair ist“, „Natürlich muss man gezielte
Abwehrmechanismen haben und die Resilienz von Wertschöpfungsketten erhöhen.“ und „kein Mensch und Land heutzutage ausschließen können, eines Tages international auf faire Regeln und Solidarität angewiesen zu sein“.

Aber auch in seinem Artikel fehlt eben die zum Ausdruck gebrachte Einsicht, dass ein Staat der Leistungsbilanzüberschüsse, trotz Aufforderung durch „Defizit-Staaten“, zumal aus dem gleichen Währungsraum, nicht machbar und zumutbar ausgleicht sich unfair und unsozial verhält und dadurch eine zu weitreichende Gegenreaktion herbei beschwören kann, welche die wirtschaftliche Freiheit auf dem Weltmarkt zu sehr eingeschränkt und zu noch mehr unfairen und unsolidarischen Handlungen führen kann, anstatt einfach nur zu einem fairen und machbar solidarischem Ausgleich.

Ebenso muss man vorsichtig sein, wenn man ein internationales Regelwerk anstrebt, welches Fairness und Solidarität durch internationale Regeln erzwingen möchte. Ein Rechtsrahmen, welcher Nationalstaaten und ihre Bürger zu Ausgleich und zum Leisten ihres gemeinschaftlichen sozialen, ökologischen und sicherheitspolitischen Beitrags zwingt, mag zwar ein nötiges anzustrebendes Ziel sein. Aber der nötige politische, demokratisch legitimierte Handlungsspielraum muss trotzdem national erhalten bleiben und transnational geschaffen werden. Und man muss aufpassen, dass einem das „Nachtwächterstaats Lager“, der „Freunde des Vorrangs der wirtschaftlichen Freiheit“ dabei nichts „unterjubeln“ und man später mit einer internationalen Regelordnung dasteht, welche den unbedingten Vorrang der wirtschaftlichen Freiheiten vor jedweden transnationalen aber auch vor zu vielen nationalen demokratisch legitimierten sozialpolitischen Maßnahmen vorsieht, und aus welcher man auch später nicht mehr so ohne weiteres wieder raus kommt, obwohl man es mehrheitlich möchte.